Lydia Haider
Lydia Haider
(Geb. 1985 in Steyr)
Lydia Haider lebt nach dem Studium der Germanistik und Philosophie heute als Autorin, Herausgeberin und Musikerin in Wien und Berlin. Sie ist Mitorganisatorin der Lesereihe »Blumenmontag« und schreibt Stücke für die Berliner Volksbühne und das Wiener Volkstheater. 2020 gewann sie beim Ingeborg-Bachmann-Preis den Publikumspreis. Seit ihrem literarischen Debüt Kongregation (2015) widmen sich ihre Prosa, Dramen und Essays sprachlich radikal und mit rhythmischer Wucht gesellschaftspolitischen Themen. Der von Stilkontrasten und sprachlichen Kluften geprägte Roman Rotten (2016) etwa ist wie auch ihr 2023 erschienene Lyrikband Oh Wien siehe die Sau (dein Land) eine Abrechnung mit Heimat, Nazi-Erbe und dem langen Schatten der Vergangenheit.
Ich werde am Frühstückstisch von Apollonia begrüßt: Alles Gute zum 30. Todestag von Thomas Bernhard! Marina fragt: Möchtest du gern eine Torte haben? Wir phantasieren, ob es nicht interessant wäre, heute alle zu sterben – alle hätten den Todestag vom Thomas. Ich ziehe meinen Lodenmantel über und will Alkohol besorgen, um mit Schnaps am Strand meinen Tribut zu zollen. Doch das ganze Rudel hängt sich an. Und so feiern wir diesen Tag gemeinsam und singen dem Thomas das eine oder andere Lied (Thomas, du Oaschloch …). Erst am Abend gehe ich allein ins Bad, um Thomas Bernhard eine privatere Ehre zu erweisen. Mittlerweile halte ich ja nicht mehr so viel von ihm – er war doch auch nur eine arme Sau. Mehr noch: ein richtig mieser, reaktionärer und bemitleidenswerter Bauernschädel. Trotzdem vergesse ich seinen Texten das Animpfen nicht, das dann eine Reaktion ausgelöst hat. Darauf stoße ich jetzt an und schütte ihm ein paar Hochprozentige rüber in die Ursuppe aller Schreiberei.
Lydia Haider, in Katharina Blum et al.: »Kein lautes Lachen mehr, kein Spatz mehr«, in: Frankfurter Allgemeine Quarterly 3 (2019).

