Orhan Pamuk

Orhan Pamuk (1952 in Istanbul geboren) ist ein türkischer Schriftsteller, dem 2006 der Literaturnobelpreis verliehen wurde. Als ›Ausnahmeerscheinung der Weltliteratur‹ von der Freien Universität in Berlin mit einem Ehrendoktorat gewürdigt, vermittelt Pamuk kulturell und literarisch zwischen der Türkei und Europa, zwischen orientalischen und okzidentalischen Erzähltraditionen. Pamuk, der ursprünglich Maler werden wollte, ein Architektur-Studium abbricht und ein Journalistik-Studium beendet, beginnt in seinen frühen Zwanzigern an seinem ersten Roman zu schreiben. Nach Cevdet Bey ve Oğulları (1982; dt. Cevdet und seine Söhne, 2011) folgen unter anderem Kara Kitap (1990; dt. Das schwarze Buch, 1995), Kar (2002; dt. Schnee, 2005), Masumiyet Müzesi (2008; dt. Das Museum der Unschuld) – zu dem Pamuk auch ein gleichnamiges Museum zum Roman in Istanbul eröffnet hat – und zuletzt Veba Geceleri (2021; dt. Die Nächte der Pest, 2022).

Regimekritische Aussagen seiner Romanfiguren haben Pamuk schon Schwierigkeiten eingebracht, er tritt zudem auch abseits der Literatur als Intellektueller in Erscheinung, der in Essays und sonstigen öffentlichen Aussagen politisch Stellung nimmt, was Morddrohungen und Gerichtsprozesse nach sich gezogen hat. Dennoch lebt Pamuk bis auf einige Unterbrechungen (vor allem Mitte der Achtziger drei Jahre als Visiting Scholar an der Columbia University in New York) in Istanbul, der Stadt, die auch seine Romanwelten und sonstige Schriften prägt. Zuletzt hält Pamuk Istanbul auch vermehrt photographisch fest, bisher sind zwei Bildbände von ihm erschienen, mit Aufnahmen von seinem Balkon, samt Schiffsverkehr auf dem Bosporus (Balkon, 2018), und mit Bildern aus dem Istanbul seiner Kindheit (Orange, 2020).

Unter den Essays, die Pamuk zu Thomas Bernhard, seiner Literatur und deren Wirkung geschrieben hat, ist »Lesen im Stimmungstief« besonders aufschlussreich. Pamuk erinnert sich in diesem 2001 auf Türkisch erschienenen Text, wie er in einer Phase der Hoffnungs- und Mutlosigkeit zu Bernhard zurückkommt, den er in früheren Jahren sehr geschätzt hat. Vor allem in Der Untergeher (1983) fühlt er sich mit seinen trostlosen Gefühlen aufgehoben wie in sonst keinem Buch.

Ich redete mir zwar ein, dass ich diese Bücher, die mir den Weg ins Leben wiesen und zumeist für mich das Leben selbst waren, weiterhin lesen müsse, um mich von der Misere zu befreien, doch wenn ich eine Seite im Buch aufschlug und die Stimme eines Autors vernahm, der die Welt akzeptierte, wie sie war, und sich auch dann mit ihr identifizierte, wenn er sie verändern wollte, dann fühlte ich mich sehr einsam. […] In dieser Gemütslage las ich dann einige Seiten von Thomas Bernhard. [...] zum erstenmal in dieser desolaten Phase wies mich eine Stimme darauf hin, dass mein sogenanntes Elend, die Niedergeschlagenheit, eigentlich gar nicht so schlimm war und nicht übertrieben werden sollte. […] Bernhard zu lesen erschien mir wie ein Heilmittel in dieser Phase der Niedergeschlagenheit. [...] Wo lag das Geheimnis? Was war es, das mir, während ich in diesen Tagen der Depression Bernhard las, wie ein Heilmittel erschien? Eine Art Verzichtbereitschaft vielleicht. Eine moralische Instanz, die mir weise andeuten wollte, vom Leben nicht so viel zu erwarten […]. Es sind nicht die meisterhaft gedeuteten Ansichten, die Moral, das Thema etc., was mir Freude macht, wenn ich Bernhard lese, sondern ich fühle mich wohl im Innern dieser Zeilen, dieser Seiten, in der Gewaltsamkeit dieser Zeilen, in den unaufhörlichen Zornausbrüchen – nicht, was der Text sagt: er selbst macht glücklich.

Orhan Pamuk: »Lesen im Stimmungstief«, in: Der Koffer meines Vaters. Aus dem Leben eines Schriftstellers, übers. von Ingrid Iren und Gerhard Meier, München: Hanser Verlag 2015, S. 174ff.*

 

J. W.

Zitate im Original

 

* »Kitaplar beni hayata hazırlayan ve çoğu zaman bende hayatın yerini tutan bir şey oldukları için içine düştüğüm bu berbat durumdan kurtulmak için onları okuma gerektiğini kendime söylüyordum, ama bir kitabın bir sayfasını açıp orada, bütün dünyayı olağan kabul eden, dünyayı değiştirmek istese de onu benimseyen bir yazar sesi duyunca yapayalnız hissediyordum kendimi. […] Thomas Bernhard'dan bazı sayfaları işte bu ruh hali okudum. […] [I]lk defa, bu mutsuzluk bunalımım sırasında, birisinin sesi bana aslında mutsuzluğum dediğim sefaletimin öyle abartılacak berbat bir şey olmadığını gösteriyordu. […] Bernhard okumak, bu mutsuzluk döneminde bana ilaç gibi gelmişti. [...] Nedir bunun sırrı? Mutsuzluk günlerimde Bernhard okudukça bana gelen bana ilaç gibi gelen şey neydi? Bir çeşit vazgeçme duygusu belki. Hayattan fazla bir şey beklememe konusunda bilgece ima edilmiş bir ahlak […]. Bernhard’ın satırlarını okurken beni mutlu eden şey, kitaplarının ustalıkla ima ettiği görüşler, ahlak, konum vs. değil: rahatlatıcı olan orada, o satırların o sayfanın içinde olmak. Satırların şiddetinin, dur durak bilmez öfkenin içinde olmak, metnin gösterdiği şey değil, kendisi mutluluk verici.« (Pamuk 2001: n. p.)

Literaturverzeichnis

Pamuk, Orhan: »Lesen im Stimmungstief« (2001). In: Der Koffer meines Vaters. Aus dem Leben eines Schriftstellers, übers. von Ingrid Iren und Gerhard Meier. München: Hanser Verlag 2015. S. 174-176.

Pamuk, Orhan: »Bir Mutsuzluk Anında Bernhard'ı Okumak«. In: Kitap-lık 47 (Mai/Juni 2001).