Michael Stavarič

(Entry: Austria / Czechia)

(Born 1972 in Brno)

Michael Stavarič zählt zu den vielseitigsten Stimmen der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur. Er lebt und arbeitet in Wien, wo er in jungen Jahren Bohemistik, Publizistik und Kommunikationswissenschaft studierte (auch einen Lehrauftrag für Inline-Skating an der Sportuniversität lässt sein Werdegang nicht vermissen). Als Autor, Übersetzer und Dozent bewegt sich Stavarič zwischen literarischen Genres und kulturellen Kontexten: Sein schriftstellerisches Werk umfasst Romane und Essays, Lyrik (zuletzt 2025 die Gedichtsammlung spüren) sowie Kinder- und Jugendbücher, darunter die beliebte »Faszination«-Reihe. Der Roman Das Phantom (2023), dessen Hauptfigur Thom in langen Monologen auf seine Existenz zurückblickt und Bilanz eines letztlich lebenslangen Scheiterns zieht, ist Stavaričs persönliche Hommage an Thomas Bernhard.

(...) und nicht, dass ich mich an etwas erinnern könnte, das im Vorfeld dieser ganzen Misere passiert wäre, ich also irgendeine »vorweltliche« Schuld zu begleichen gehabt hätte, die ich nunmehr abarbeiten müsse, es ist wohl einzig und allein die Sache meiner Eltern gewesen, in diesen Wahnsinn einzuwilligen, und ihn durch ihre Einwilligung überhaupt erst zu ermöglichen, den Thom, dieses hier nichts zu suchen habende Phantom, ins irdische Jammertal zu verfrachten, was einer Geisteserweiterung und Geisteserleuchtung größtmöglich abträglich ist, ganz zu schweigen von allgemeinen, ihm (also mir) auferlegten und gar nicht oft genug zu bekrittelnden Lebensumständen, die einer »Geistesbeengung« und Geistesnötigung par excellence gleichkommen, einem (also mich) einer jeglichen Zuneigung beraubend und einem (also mir) eine jede noch so kleinste Lieblichkeit absprechend, ja diese förmlich abklemmend, wenn nicht gar unwiderruflich abtötend, und so blieb ich demnach viel zu lange den überforderten, ja überfordertsten Erziehungsberechtigten ausgesetzt, ihrer kaputten und immer doch irgendwie verklemmten Ehe, der jeglicher Gestaltungswille verloren gegangen war und die sich unweigerlich der Vernichtung aller guten Dinge verschrieben hatte.

Michael Stavarič: Das Phantom, München: Luchterhand 2023, S. 71f.