Edmundo Paz Soldán

Edmundo Paz Soldán, 1967 im bolivianischen Cochabamba geboren, ist Schriftsteller und Professor für lateinamerikanische Literatur an der Cornell University in New York. 1991 in die USA emigriert, studierte er Politik und Hispanistik in Alabama und Kalifornien und veröffentlicht seither Erzählungen und Romane. 2003 erhielt er mit dem Premio Nacional de Novela einen der wichtigsten Literaturpreise Boliviens. Paz Soldán gilt als zentraler Vertreter des McOndo, einer lateinamerikanischen Literaturbewegung, die sich klar vom ›realismo mágico‹ abgrenzt.

»Bernhard en el cementerio« ist Miguel Sáenz gewidmet (vgl. auch Gómez Macchia), jenem Übersetzer Bernhards, der die Bernhard-Rezeption durch seine Vermittlungstätigkeit in der spanischsprachigen Welt maßgeblich geprägt hat (vgl. Sáenz 2018: 496) und der auch die Die Kälte. Eine Isolation (1981) 1985 als El frío übersetzt hat, den vierten Band von Bernhards fünfteiliger Autobiografie und der Prätext für Paz Soldáns Kurzgeschichte. Paz Soldán greift daraus jene Szene auf, in der der jugendliche Thomas Bernhard, dessen Lungentuberkulose in der Lungenheilanstalt Grafenhof behandelt wird, vom Tod seiner Mutter erfährt. Wörter, Sätze und zum Teil ganze Passagen werden übernommen, mit dem Unterschied, dass nicht mehr aus der Ich-Perspektive, sondern in zweiter Person erzählt wird, Paz Soldáns ›Du‹ erweckt dabei den Eindruck, als wende sich die Erzählinstanz direkt an Bernhard. Aus dem Eröffnungssatz – »Mit dem sogenannten Schatten auf meiner Lunge war auch wieder ein Schatten auf meine Existenz gefallen« (W10: 313) – wird bei Paz Soldán: »Du hattest einen Schatten auf deiner Lunge, ein Schatten, der sich über deine ganze Existenz legte.« (»Tenías una sombra en tu pulmón, una sombra que caía sobre toda tu existencia«, Paz Soldán 2012: 11, Übers. F. H.) Bei Bernhard wie Paz Soldán bildet die Krankheit den Ausgangspunkt der Erzählung; auch Paz Soldáns Bemerkung, jede Krankheit sei letztlich eine Krankheit der Seele (Paz Soldán 2012: 11) verweist indirekt auf Bernhard, der dieses Novalis-Zitat dem Band Die Kälte voranstellt. Bernhard schildert hier und in Der Atem. Eine Entscheidung (1978), wie er, während er selbst mit dem Leben ringt, den Großvater und die Mutter verliert. Vom Tod der Mutter Herta Fabjan, die im Oktober 1950 ihrem Krebsleiden erliegt, erfährt das Ich durch eine Zeitungsanzeige: »Es konnte keine andere sein – mal abgesehen von dem plumpen Tippfehler – , deine Mutter Fabjan, nicht Pavian.« (»No podía ser otra que ella a pesar del craso error, tu madre apellidaba Fabjan y no Pavian«, Paz Soldán 2012: 11, Übers. F. H.) Der tatsächliche Druckfehler ›Pabjan‹ (cf. W10: 570) wurde vom Autor zu ›Pavian‹ verschärft (vgl. Arnold 2018: 184), wodurch der Wahrheitsgehalt der fiktionalisierte Begräbnisszene ebenfalls fragwürdig erscheint:

Während ich mit meiner Großmutter und dem Vormund hinter dem Sarg ging, wurde ich plötzlich von einem Lachkrampf befallen, mit welchem ich während der ganzen Zeremonie zu kämpfen hatte. Immer wieder hörte ich das Wort Pavian von allen Seiten, und ich war schließlich gezwungen, noch vor Ende der Zeremonie den Friedhof zu verlassen. Pavian! Pavian! Pavian! schrie es mir in die Ohren, und ich verließ fluchtartig und ohne die Meinigen den Ort und fuhr nach Salzburg zurück. 

(W10: 393)

Paz Soldán greift diese absurde Szene in »Henndorf del Wallersee« (Paz Soldán 2012: 12) auf, in der Bernhard den Tippfehler wie ein Mantra vor sich hersagt und der ihn unweigerlich zum Lachen bringt. Seine Erheiterung über den falschen Namen der verstorbenen Mutter sorgt unter den Trauergästen für Empörung: 

Danach begannst du zu wiederholen, Fabjan, Pavian, Fabjan, Pavian, Fabjan, Pavian. Es war ein Fehler, der es verdient gehabt hätte, korrigiert zu werden, oder vielleicht auch nicht, du konntest ihn nicht korrigieren, und bald konntest du nur noch Pavian aussprechen, Pavian, Pavian und du hattest einen Lachanfall, alle schauten dich an und du konntest nicht aufhören zu lachen, Pavian, sie wollten, dass du dich korrigierst und du konntest dich nicht korrigieren, du wolltest, aber du konntest nicht, Pavian, wir alle wollen fähig sein, uns tatsächlich zu korrigieren und können es doch nicht, und wir schieben es unaufhörlich auf, oder glauben, es aufzuschieben, wenn wir es in Wahrheit doch nicht können, nicht dazu in der Lage sind, Angst haben davor.

Edmundo Paz Soldán: »Bernhard en el cementerio«, in: Billie Ruth, Madrid: Páginas de Espuma 2012, S. 11 (Übers. F. H.).*

Die hier unmögliche Korrektur – durch die Nennung des Verbs ›corregir‹ entsteht eine zusätzliche intertextuelle Verbindung zu Bernhards fatal endendem Roman Korrektur (1975) – wird sich schließlich im Tod vollziehen, als Korrektur des Lebens, die in tieferen Schichten als Todeskrankheit schon angelegt ist. Und bis dahin fragt sich, ob nicht »vielleicht alle Menschen kaum mehr als Paviane sind, während sie darauf warten, dass die wahre Korrektur eintrifft oder sie ihre eigene Korrektur hinauszögern« (»mientras esperan que les llegue la verdadera corrección o aplazan ellos su propia corrección«, Paz Soldán 2012: 12, Übers. F. H.). 

 

 

Felix Huth

Zitate im Original

* »Luego comenzaste a repetir, Fabjan, Pavian, Fabjan, Pavian, Fabjan, Pavian. Era un error que merecía ser corregido, o quizás no, tú no podías corregirlo, de pronto solo podías pronunciar Pavian, Pavian, Pavian, y te dio un ataque de risas, todos te miraban y tú no podías dejar de reírte, Pavian, querían que te corrigieras y tú no podías corregirte, querías pero no podías, Pavian, muchos queremos ser capaces de la verdadera corrección y no podemos, y la aplazamos continuamente, o creemos que la aplazamos cuando en realidad lo que ocurre es que no podemos, no somos capaces, tenemos miedo.« (Paz Soldán 2012: 11)

Literaturverzeichnis

Arnold, Antje: »Werke. Autobiographie. Die Kälte. Eine Isolation«. In: Bernhard-Handbuch. Leben–Werk–Wirkung, hg. von Martin Huber und Manfred Mittermayer. Stuttgart: Metzler 2018. S. 183-187.

Bernhard, Thomas: Die Autobiographie [= Werke 10], hg. von Martin Huber und Manfred Mittermayer. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004.

Marquard, Eva: Gegenrichtung: Entwicklungstendenzen in der Erzählprosa Thomas Bernhards. Tübingen: De Gruyter 1990.

Orbis, Jessica: »Führungen durchs ›Denkhäuschen‹. Räumliches Schreiben, Autofiktion und Gesellschaftskritik bei Jelinek und Bernhard«. In: Orbis Litterarum, Bd. 73, Nr. 6, 2018. S. 487-505.

Paz Soldán, Edmundo: »Bernhard en el cementerio«. In: Billie Ruth. Madrid: Páginas de Espuma 2012.

Sáenz, Miguel: »Rezeption und Wirkung. Die spanischsprachigen Länder«. In: Bernhard-Handbuch. Leben–Werk–Wirkung, hg. von Martin Huber und Manfred Mittermayer. Stuttgart: Metzler 2018. S. 496-497.