Tetsuya Satō
Tetsuya Satō
Geboren 1960 in Hamamatsu. 1993 debütierte er mit der spekulativen Prosa イラハイ [Irahai], für die er den Japan Fantasy Novel Award erhielt. Zu Satōs bekanntesten Werken zählen 妻の帝国 [2002; dt. Die Frau des Imperiums] und 下りの船 [2009; dt. Das Flußabwärtsschiff]. Seine Frau, ebenfalls eine Schriftstellerin, ist Aki Satō. Er starb im Jahr 2023.
Die wirkliche Thomas Bernhard-Rezeption in Japan begann 2004, als Nobuo Ikeda Auslöschung ins Japanische übersetzte. Diese Veröffentlichung trug maßgeblich dazu bei, den Namen Bernhard einem breiten japanischen Lesepublikum bekannt zu machen. Auch Tetsuya Satō zählte zu denjenigen, die zu dieser Zeit Auslöschung wahrgenommen haben. In seiner Rezension zum Roman erklärt Satō seine Begeisterung mit den folgenden Worten:
Dennoch war es nicht die politische Haltung oder die historische Auffassung Bernhards, die mich am Werk Auslöschung so fasziniert haben, sondern es war einzig und allein der unglaublich fesselnde und außergewöhnliche Text, der mich tief berührte. Der Erzähler ist nicht nur unzuverlässig an sich, er ist für sich selbst ein unzuverlässiger Erzähler, und die Wahrheit schimmert zwischen seinen Worten hindurch, verbirgt sich, taucht auf und verändert dabei ständig ihre Farbe. Beim Verfolgen des Textes begegnet man unerwarteten Abgründen, und die Entdeckung eines dunklen, verzerrten Lachens in seinem Inneren lässt einen erschauern – eine Erfahrung, die man anderswo nur selten machen kann.
Satō:本棚の一角:トーマス・ベルンハルト『消去』[Rezension: Thomas Bernhards Auslöschung]. In: aloysius.sakura.ne.jp/someone/shelf/t_syokyo.html, 2005 (Übers. Y. I.)*
Satō veröffentlichte auch Bernhard-Pastiches. Einer davon, 竹林の奥 [2018; dt. Hinter dem Bambuswald], greift Motive des traditionellen japanischen Märchens Taketori Monogatari (um 900) auf, wobei sich der Erzähler, ähnlich wie die Figur Franz-Josef Murau gegenüber seinem Schüler Gambetti, in eine furiose Rede an seinen jüngeren Kollegen Bandai-kun hineinsteigert:
Die menschliche Zivilisation steht am Rande der Vernichtung, sagte ich oft zu Bandai-kun. Die menschliche Zivilisation steht am Rande der Vernichtung, sagte ich immer wieder zu Bandai-kun. Weil ich immer wieder sagte, dass die menschliche Zivilisation am Rande der Vernichtung steht, dachte ich, dass auch Bandai-kun dieselbe Vorstellung wie ich geteilt hatte, nämlich dass die menschliche Zivilisation am Rande der Vernichtung steht.
Satō:竹林の奥 [Hinter dem Bambuswald]. In: 美女と竹林のアンソロジー [Die Geschichte von den schönen Frauen und Bambuswälder], hg. von Morimi Tomihiko. Tokyo: 光文社 [Kobunsya] 2018, S. 287 (Übers. Y. I.)**
Schließlich sticht Satōs phantastischer Roman シンドローム [2015; dt. Syndrom] als wichtigstes Werk unter jenen hervor, die unter dem Einfluss Thomas Bernhards entstanden sind. Eines Tages stürzt ein Meteorit in die Stadt, in der der junge Protagonist lebt – eine Handlung, die stark an einen Katastrophenfilm erinnert. Der Jugendliche reagiert auf dieses Geschehen mit einem Monolog, der insgesamt von Flüchen und Wiederholungen geprägt ist:
»Das ist wahnsinnig«, dachte ich. Die Tentakel waren ebenso wahnsinnig wie der Sportlehrer, der von den Tentakeln umschlungen schrie. Es gibt viele wahnsinnige Dinge auf dieser Welt, dachte ich. Doch nichts anderes war so wahnsinnig wie das. Wo auch immer man auf der Welt suchen würde, würde man nichts so Wahnsinniges finden. Selbst wenn man vom Nordpol bis zum Südpol suchen würde, würde man nichts so Wahnsinniges entdecken.
Satō:シンドローム [Syndrom], Tokyo: 福音館 [Fukuinkan] 2015, S. 240 (Übers. Y. I.)***
Die im Bernhard-Ton wiedergebebenen Gedanken des Helden, eines Teenagers mit heftigem Liebeskummer, geraten zu Wahnvorstellungen bei der Vermutung, seine Angebetete Kubota könnte eine Beziehung mit seinem Freund Hiraiwa eingegangen sein:
»Nein, sie sind ein Liebespaar«, dachte ich. In der Nacht musste etwas passiert sein, und Kubota und Hiraiwa waren zu Liebenden geworden, dachte ich. Es gab keinen Zweifel daran. Kubota war in die dunkle Welt der Verblendung eingetreten, die das Herz vernebelt und die Augen vernebelt und einen zu falschen Schlüssen führt. Hiraiwa, über den man ohne weiteres sagen kann, dass er zugleich Sklave der Verblendung und die Verblendung selbst war, verführte Kubota auf hinterlistige und perverse Weise zu dieser dunklen Welt, reichte ihr die Hand und lud sie zum finsteren Quadrille-Tanz ein.
Satō:シンドローム [Syndrom], S. 295 (Übers. Y. I.)****
Was Tetsuya Satō mit diesen intertextuellen Anleihen gelungen ist, ist Thomas Bernhards Monologstil auf die Geschichte eines sexuell verunsicherten Jugendlichen anzuwenden, zudem in einem fantastischen Setting, womit er sich schon auf doppelte Weise stark von einer reiner Nachahmung entfernt: Mit seiner originellen Substanz kann Syndrom als repräsentatives Werk der aktuellen kreativen Bernhard-Rezeption in Japan gelten.
Yutaro Iijima
Zitate im Original
* わたしがこの『消去』という作品に夢中になったのは、ベルンハルトの政治的態度や歴史認識に思うところがあったからではなく、すばらしく魅力的で卓越したテクストに激しく感じ入ったからにほかならない。語り手はただ信頼できないだけではなく、語り手自身にとっても信頼できない語り手であり、真相は語り手自身の言葉の裏と表のあいだに見え隠れし、顔を出しては色彩を変える。テクストを追ううちに予想もしない深淵と遭遇し、その内奥に暗くて歪んだ笑い見つけ出して思わず慄然とする体験はほかでは滅多に味わえない。(Satō 2005: n.p.)
** 人類文明は破滅の淵に立っているのだよ、とわたしはよく万代くんに言ったものだ。人類文明は破滅の淵に立っているのだよ、とわたしは万代くんに繰り返し言った。人類文明は破滅の淵に立っているのだよ、とわたしが繰り返し言ったおかげで、万代くんも人類文明は破滅の淵に立っているという認識をわたしと共有した、とわたしは思っていた。(Satō 2018: 287)
*** これは愚劣だ、とぼくは思った。触手が愚劣なら触手に巻き付かれて悲鳴を上げる体育教師も愚劣だった。この世の中に愚劣なものは数多いが、とぼくは思った。これほど愚劣なものは他にはなかった。世界中のどこを探してもこれほど愚劣なものはないだろう。北極から南極まで探してもこれほど愚劣なものが見つかることはないだろう。(Satō 2015: 240)
**** いや、恋人同士なのだ、とぼくは思った。夜の間に何かがあって久保田と平岩は恋人同士になったのだ、とぼくは思った。疑う余地はまったくなかった。心を曇らせ、目を曇らせ、誤った結論へとひとを導く迷妄の暗黒世界に久保田は足を踏み入れたのだ。いわば迷妄の奴隷であり、迷妄そのものであると言ってもまったく過言ではない平岩がヒロイズムの延長線上を突っ走るという狡猾で倒錯した手段を使って暗黒世界の誘惑を久保田にふりかけ、手を差し伸べて暗黒のカドリールに誘ったのだ。(Satō 2015: 295)
Literaturverzeichnis
Tetsuya, Satō:本棚の一角:トーマス・ベルンハルト『消去』[Rezension: Thomas Bernhards Auslöschung]. In: aloysius.sakura.ne.jp/someone/shelf/t_syokyo.html, 2005.
Tetsuya, Satō:竹林の奥 [Hinter dem Bambuswald]. In: 美女と竹林のアンソロジー [Die Geschichte von den schönen Frauen und Bambuswälder], hg. von Morimi Tomihiko. Tokyo: 光文社 [Kobunsya] 2018, S. 277-301.
Tetsuya, Satō:シンドローム [Syndrom], Tokyo: 福音館 [Fukuinkan] 2015.