Jacek Dehnel
Jacek Dehnel
1980 in Danzig geboren, studiert Jacek Dehnel an der Universität Warschau Literaturwissenschaft und Philosophie. Schon Ende der 1990er Jahre tritt er mit einer ersten Prosa-Veröffentlichung in Erscheinung, mit seinem Roman Lala (2006; dt. Lala, 2008) gelingt ihm der Durchbruch. Dehnel ist darüber hinaus Lyriker und Drehbuchautor, Moderator und Maler sowie Übersetzer ins Polnische, unter anderem von F. Scott Fitzgerald, Edmund White, Henry James und Philip Larkin. Mit seinem Ehemann, Piotr Tarczyński, schreibt er unter dem Pseudonym Maryla Szymiczkowa Kriminalromane, die im Krakau der Jahrhundertwende spielen. Dehnels bisweilen exzentrisches Auftreten und seine offen gelebte Homosexualität führen in Polen immer wieder zu Kontroversen (vgl. Artwińska 2014). Im Rahmen eines DAAD-Programms übersiedelt er 2020 von Warschau nach Berlin.
Haben Sie keine Angst, fragte mich einmal irgendein Journalist (…), dass, wenn Sie so die Schwefelsäure in den Flaschen mit sich tragen, Ihnen etwas ausläuft und Sie verätzt, da sagte ich, dass man sich nun mal gelegentlich für die Kunst opfern müsse, […] hier offenbart sich jedoch das Problem, dass die Flaschen einerseits ordentlich verschlossen sein müssen, andererseits jederzeit dazu bereit, diese zu öffnen und mit präzisen, schnellen Bewegungen aus dem Mantel oder der Jacke heraus, (…) einen Vermeer mit Schwefelsäure zu übergießen (…).
Jacek Dehnel: Krivoklat: czyli, ein österreichisches Kunstidyll, Kraków: Znak Literanova 2016, S. 9 (Übers. K. L.).*
Als selbsternannter Retter der Kunst ist der titelgebende Held Krivoklat auf seiner Mission (KSSKS, übers. etwa: Krivoklats System des Übergießens mit Schwefelsäure), alle bedeutenden Gemälde in Europa zu zerstören. Dafür bedient sich der nicht mehr ganz junge Herr einer Flasche, gefüllt mit Schwefelsäure, die er in Museen und Ausstellungen schmuggelt, um sie im richtigen Moment über ein Gemälde zu gießen und es im besten Fall bis zur Unkenntlichkeit zu zerstören. Wiederholt landet er in einer psychiatrischen Anstalt, nur um seinen Plan nach der Freilassung weiter unbeirrt zu verfolgen, darin dem in die bundesrepublikanische Kunst- und Kriminalgeschichte eingegangenen ›Dürer-Attentäter‹ Hans-Joachim Bohlmann sehr ähnlich. Es ist dies Krivoklats Protest dagegen, dass bildende Kunst von der Gesellschaft nur mehr zur Kenntnis genommen, nicht aber verinnerlicht und geschätzt wird.
Seine die Kunst betreffende Obsession lässt – zumal durch das österreichische Setting der Handlung – an die Figur Reger aus Alte Meister (1985) denken, der seit Jahr und Tag im Bordone-Saal des Kunsthistorischen Museums Tintorettos »Weißbärtigen Mann« anstarrt, um den »einen sogenannten gravierenden Fehler« (Bernhard 2008: 28) darin zu finden. Reger verwendet in seiner Kunstkritik allerdings nur Wörter als Waffe, anstelle von Schwefelsäure. Im Zuge von Krivoklats Mission stellt sich immer mehr die Frage, wer, wann, wie und wo bestimmt, was Kunst ist – und auch gesellschaftliche Übereinkünfte werden im Hinblick auf Gesundheit und Krankheit hinterfragt. Der Held – zwischen Wahnsinn und Hellsichtigkeit oszillierend – erklärt den Leser:innen gleich zu Beginn penibel sein absurdes Unterfangen mit der größten Ernsthaftigkeit, erinnernd etwa an die absurde, traurig-humorvolle Passage aus Die Kälte (1981), in der über mehrere Seiten die Abläufe und zentrale Wichtigkeit der Kunst des »Spuckens« in Spuckflaschen erläutert wird (Bernhard 2004: 314-316). Krivoklat (der seinen Namen mit einer mittelböhmischen Burg teilt) gerät bereits in jungen Jahren als sogenannter Leichterkrankter ins Visier der Ärzte und erkennt schnell, dass einzig die Aussicht, ein Schwererkrankter zu sein, ihm ein freies Leben ohne alltägliche gesellschaftliche Zwänge ermöglicht:
Der leicht Erkrankte jedoch, wobei, es wäre eher angemessen, sie als sogenannte leicht Erkrankte zu bezeichnen, die ihre Ärzte als Verbündete wahrnehmen, sie geben sich weiteren Therapien hin, so, als ob sie völlig ihren Lebensinstinkt abgelegt hätten, weshalb sie, und dafür gibt es zahlreiche Beweise trotz der geringen Spitalgröße wie der des Medizinischen Zentrums Schloss Immendorf, ankommend auf der ersten Station, zuerst noch so gut wie gesund sind, lediglich, ich formuliere das mal so, mit einer bestimmten Art von seelischer Heiserkeit, aber durch die nachfolgenden Jahre und Monate schrittweise in menschliche Wracks verwandelt werden (…).
Dehnel: Krivoklat, S. 23 (Übers. K. L.).**
Das Sinnieren über Ärzt:innen und psychische und physische Krankheitsbilder, geläufig aus Bernhards autobiographisch gefärbten Schriften (vor allem Der Atem, 1978, Die Kälte, 1981, auch Wittgensteins Neffe, 1982), ist eine von vielen motivischen, thematischen und stilistischen Parallelen: zeilen- bis seitenlange Sätze, Schachtelkonstruktionen, inhaltliche Wiederholungen, auffällig variierende Tempora, ein mitunter sarkastischer Ton, Wortkomposita, die monoperspektivische Erzählhaltung, Signalwörter wie »Das sogenannte normale Leben und die sogenannte normale Familie« (Dehnel 2016: 13, Übers. K. L.), charakteristischer Phrasen wie »und so weiter, und so weiter« (30) und schließlich der Titel: Krivoklat: czyli, ein österreichisches Kunstidyll (dt: Krivoklat: oder, ein österreichisches Kunstidyll) grob nach dem bekannten Bernhard-Muster: Nomen plus unbestimmter Artikel und Nomen im Untertitel. Dehnel weist Krivoklat (2016) in einem Interview ausdrücklich als Bernhard-Pastiche aus (vgl. Zano 2018: 09:56-10:03). Auf Thomas Bernhard wird im Klappentext verwiesen und die drei Motti, die Krivoklat einleiten, stammen aus Watten. Ein Nachlaß (1969), Das Kalkwerk (1970) und Korrektur (1975). Nichtsdestotrotz ist der Roman bislang nicht ins Deutsche übersetzt, lediglich ins Französische.
Thomas Bernhards Werk, seit mittlerweile mehr als 30 Jahren in Polen bekannt und übersetzt (vgl. Kaszyński 2018 und Szczęśniak 2013), hat produktive Rezeptionen unterschiedlicher Art und Intensität hervorgebracht. Dehnels Roman ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich die innerliterarische Bernhard-Rezeption »nicht auf Imitation, Repetition oder versuchte Übertreibung der Übertreibung« beschränkt, sondern »vielschichtige Auseinandersetzungen« (Zeyringer 1995: 147) zulässt.
Karolina Laciak
Zitate im Original
* »Nie boi się pan, zapytał mnie kiedyś jakiś dziennikarz (…), że jak pan tak niesie ten kwas siarkowy w butelkach, to on panu gdzieś wycieknie i pana poparzy, a ja odpowiedziałem, że dla sztuki trzeba się czasem poświecić, (…) ale tak naprawdę jest z tym pewien problem, bo przecież butelki muszą być z jedniej strony szczelnie zakręcone, z drugiej zaś w każdej chwili gotowe do tego, żeby je odkręcić, wyjąwszy je precyzyjnym, szybkim ruchem z kieszeni płaszcza (…).« (Dehnel 2016: 9).
** »Chorujący lekko zatem, czy, należałoby raczej powiedzieć, tak zwani chorujący lekko, uważając swoich lekarzy za sprzymierzeńców, poddają się kolejnym terapiom, jakby byli kompletnie pozbawieni instynktu samozachowawczego, przez co nierzadko, a są na to liczne dowody nawet w tak niewielkim szpitalu jak Centrum Medyczne Zamek Immendorf, trafiają do pierwszego zakładu całkowicie niemal zdrowi, z, że tak to ujmę, pewnego rodzaju duchową chrypką, ale kolejne lata i miesiące zmieniają ich stopniowo w ludzkie wraki (…).« (Dehnel 2016: 23).
Literaturverzeichnis
Artwińska, Anna: »Widersprüchliche Positionen: Selbst- und Fremdwahrnehmung des polnischen Autors Jacek Dehnel«. In: Künstlerinszenierungen. Performatives Selbst und biographische Narration im 20. und 21. Jahrhundert, hg. von Christopher F. Laferl und Anja Tippner. Bielefeld: transcript 2014. S. 251-272.
Bernhard, Thomas: Alte Meister. Komödie [= Werke 8], hg. von Martin Huber und Wendelin Schmidt-Dengler. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008.
Bernhard, Thomas: Die Kälte. In: Die Autobiographie [= Werke 10], hg. von Martin Huber und Manfred Mittermayer. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004.
Dehnel, Jacek, und Agą Zano: »Bukbuk: Jacek Dehnel o książkach. Rozmowa z Agą Zano«, 18. September 2017, https://www.youtube.com/watch?v=xXD9l6_v1SM&t=627s.
Dehnel, Jacek: Krivoklat: czyli, ein österreichisches Kunstidyll. Kraków: Znak Literanova 2016.
Kaszyński, Stefan H.: »Seit drei Jahrzehnten präsent. Zur Rezeption in Polen«. In: Kontinent Bernhard. Zur Thomas-Bernhard-Rezeption in Europa; hg. von Wolfram Bayer. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1995. S. 430-444.
Szczęśniak, Dorota: »›Nie war ich glücklicher als in Polen‹. Thomas Bernhard und Polen«. In: Germanoslavica 24 (2013), Nr. 1. S. 43-62.
Zeyringer, Klaus: »Der Vorschimpfer und sein Chor: Zur innerliterarischen Bernhard-Rezeption«. In: Kontinent Bernhard. Zur Thomas-Bernhard-Rezeption in Europa, hg. von Wolfram Bayer. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1995. S. 129-152.