Pola Oloixarac
Pola Oloixarac
Pola Oloixarac (geb. 1977 in Buenos Aires als Paola Caracciolo) ist eine argentinische Schriftstellerin, Librettistin, Übersetzerin und Journalistin, u. a. für The New York Times, The Telegraph, Rolling Stone und die von ihr mitgegründete Buenos Aires Review. Nach ihrem Philosophiestudium in Buenos Aires und Stanford lebt sie heute in Barcelona. Die vom Bernhard-Anhänger Ricardo Piglia als neues Großereignis des argentinischen Erzählens (El Pais, 12. März 2010) gefeierte Autorin sorgt erstmals 2008 mit dem im Universitätsmilieu angesiedelten, satirischen Roman Las teorías salvajes (dt. Wilde Theorien, 2021) für Aufsehen. Oloixaracs dritter Roman Mona (2019) porträtiert einen prätentiösen Literaturbetrieb, der mit »literarischen Mehrzweckpose[n]« (Bernhard 2007: 158) aufwartet, die gut mit Thomas Bernhards Avantgarde-Attacke in Holzfällen (1984) harmonieren. Der Kritik bleibt diese Nähe nicht verborgen, sie empfiehlt Mona Lesenden, die »digs at current fetishes like Karl Ove Knausgaard and Thomas Bernhard« (McBee 2021: n. p.) schätzen.
Mona, die titelgebende Hauptfigur mit Hang zum Exzessiven, ist aus den USA nach Schweden gereist, um einen Literaturpreis entgegenzunehmen, und schildert die Geschehnisse im Verlauf eines viertägigen Literaturfestivals. Mit ihrem Freund Marco ergibt sich ein zukunftsweisender Dialog darüber, wie künstliche Intelligenz bald den Literaturnobelpreis erhalten könnte. Fortgesetzt wird damit die im Vorgängerroman Las constelaciones oscuras (2015; dt. Kryptozän, 2016) vorgenommene Erkundung von Mensch-Maschinen-Konstellationen an der Schwelle des Kryptozäns, dem neuen Erdzeitalter nach dem menschendominierten Anthropozän. Als besonders geeignetes Material für die Literaturnobelpreismaschine erscheint Mona und ihrem Dialogpartner das Schreiben Thomas Bernhards, für dessen großen Anklang in Lateinamerika sogleich eine griffige Erklärung geliefert wird.
Wir werden an einer literarischen künstlichen Intelligenz arbeiten, einer Variante des nicht-kreativen Schreibens. Künstliche Intelligenzen funktionieren auf der Grundlage eines Rückkopplungsmechanismus, der Feedbackschleifen erzeugt, die sich sehr ähnlich verhalten wie das, was wir Menschen Besessenheiten nennen. Wir Menschen können Psychopharmaka einnehmen, um aus unseren Besessenheitsschleifen auszubrechen, aber künstliche Intelligenzen brechen nicht freiwillig aus dieser Rekursivität aus. So wie es auch den Schriftstellern mit ihren Stilen ergeht.
—Welche Art von Stilen können künstliche Intelligenzen imitieren?
—Das ganze Thomas-Bernhard-Ding passt ihnen ziemlich gut, zum Beispiel lange Absätze, die immer wieder auf das Gleiche einhämmern, und im Großen und Ganzen spürt der Geist, der liest, wie sie sich spiralförmig drehen. Und deshalb ist es lustig, dass Thomas Bernhard so viele Nachahmer in Lateinamerika hat, es ist wirklich unglaublich, wenn die Leute deprimiert sind, dann wissen sie schon, sie haben einen inneren Sensor, der ihnen sagt: »Mach deine Thomas Bernhard-Imitation, du wirst sehen, dass es gut gehen wird, dass es ›literarisch‹ sein wird, dass es den Anschein haben wird, dass du etwas Wichtiges sagst.«
Pola Oloixarac: Mona, Barcelona: Literatura Random House 2019, S. 103f. (Übers. J. W.)
Fünf Jahre nach Erscheinen von Oloixaracs Roman führt die vorgeschlagene Aufforderung ›Mach [d]eine Thomas Bernhard-Imitation‹ zu einem das stereotype Bernhard-Weltbild leicht, den Bernhard-Ton deutlich verfehlenden Ergebnis, das – wenig nobelpreisverdächtig – die menschliche Intelligenz bei Bernhard-Imitation keineswegs entbehrlich erscheinen lässt:
Was soll dieser lärmende Wahnsinn hier? Der ganze Tag schon diese elenden Geräusche, dieses sinnlose Geschwätz! Wenn ich nur daran denke, wie viel sinnvoller es wäre, einfach in Ruhe zu existieren. Aber nein, stattdessen muss man sich von früh bis spät durch dieses absurde Theater quälen. Eine schreckliche Zumutung, wirklich.
ChatGPT: Antwort auf »Mach eine Thomas Bernhard-Imitation«, OpenAI, 1. Juni 2024
Juliane Werner
Zitate im Original
»Vamos a trabajar en una inteligencia artificial literaria, una variante de la escritura no creativa. Las inteligencias artificiales funcionan a partir de un mecanismo de retroalimentación que organiza loops con cosas, que se comporta de manera muy parecida a lo que los humanos llamamos obsesiones. Los humanos podemos tomar medicación psiquiátrica para salir de los loops obsesivos, pero las inteligencias artificiales no salen voluntariamente de esa recursividad. Como también les pasa a los escritores con sus estilos.
—¿Qué clase de estilos pueden imitar las inteligencias artificiales?
—Todo el rollo Thomas Bernhard les calza bastante bien, por ejemplo, párrafos largos que machacan sobre la misma cosa repetida muchas veces, y en el conjunto la mente que lee las puede sentir espiralarse. Y por eso es gracioso que Thomas Bernhard tenga tantos imitadores en Latinoamérica, es realmente increíble, cuando la gente está deprimida ya sabe, ya tiene un sensor interno que le dice: »Haz tu imitación de Thomas Bernhard, verás que irá bien, que será ›literaria‹, que tendrá el aroma de que estás diciendo algo importante«. (Oloixarac 2019: 103f.)
Literaturverzeichnis
Bernhard, Thomas: Holzfällen. Eine Erregung [= Werke 7], hg. von Martin Huber und Wendelin Schmidt-Dengler. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007.
McBee, Wilson: »Authors Behaving Badly«. In: Southwest Review, 18. März 2021, https://southwestreview.com/authors-behaving-badly.
Oloixarac, Pola: Mona. Barcelona: Literatura Random House 2019.
Piglia, Ricardo. »El plan maestro de Pola Oloixarac«. In: El Pais, 12 März 2010, https://elpais.com/diario/2010/03/12/tentaciones/1268421773_850215.html.