Lambert Schlechter
Lambert Schlechter
Die Lesebegeisterung des 1941 in Luxemburg-Stadt geborenen Literaten Lambert Schlechter veranschaulicht sich bereits an den Bücherbergen in seinem alten Winzerhaus in den Weinbergen der luxemburgischen Mosel. Schlechter, der über Jahrzehnte als Lehrer für Philosophie und Französisch gearbeitet hat, veröffentlicht seit den frühen 1980er Jahren vor allem Prosa und Lyrik in französischer Sprache. Lesen und Schreiben bilden in seinem Leben eine untrennbare Einheit:
Lesen führt zum Schreiben und umgekehrt (…). Wenn ein junger Autor sagt, er würde nicht lesen, weil er sich nicht beeinflussen lassen will, dann sage ich Stopp, lass dich beeinflussen, schreib einmal wie Hermann Hesse, und dann schreibst du wie Gottfried Benn, und dann schreibst du wie Thomas Bernhard. Und dann bist du vielleicht auf deinem eigenen Weg oder Du liegst schon lange im Graben.
Lambert Schlechter, zit. n. Valerija Berdi: »Looss dech influenzéieren«. In: 100komma7.lu, 30. August 2016 (Übers. J. W.).*
Durch Nachahmungen die eigene Stimme finden: ein jahrtausendealtes Unterfangen, das in der produktiven Bernhard-Rezeption viele Autor:innen in Form kleinerer oder größerer Stilimitationen unternehmen, in ihrem Früh-, wenn nicht Debütwerk (etwa Marković, Arudpragasam, Kuczok, Riviere, Schlembach), und in den meisten Fällen Prosa. Lambert Schlechter habe ohne klare Inspiration mit Lyrik begonnen, ebenso wie der seinerzeit noch unbekannte Bernhard, der Anfang der 1960er Jahre auf Einladung der Dichterin Anise Koltz zu den ›Mondorfer Dichtertagen‹ ins luxemburgische Munneref reiste; Erfahrungen, die ihn auf seinem literarischen Weg bestärkt haben, wenn nicht gar sein »Schreiben und Leben in unumkehrbare Bahnen gelenkt« (Fellinger 2015: n. p.; vgl. Reuter 2013) haben, so Raimund Fellinger, Cheflektor des Suhrkamp-Verlags.
Im Gegensatz zu Bernhard ist Schlechter der Lyrik treu geblieben. Sein Miniatur-Pantheon les repentirs de Froberger (2011, dt. Frobergers Reue) besteht aus ›biographischen Vierzeilern‹ zu einer illustren Gruppe von Bewunderten, darunter Pessoa, Klee, Lorca, Wittgenstein, Glenn Gould, Descartes, Montaigne, Cioran, Brahms und Tom Waits. Im Buch findet sich neben Schlechters Vierzeiler zu Thomas Bernhard eine Zeichnung von Nicolas Maldague, die Bernhards berühmten photographischen Blick in den Spiegel (Johann Barth/Sepp Dreissinger) adaptiert. Aus dem Spiegelbild zurück blickt zwar Thomas Bernhard, doch ist es nicht Thomas Bernhard, der in den Spiegel hineinschaut, sondern der Kopf eines Bären. Die Gespaltenheit, die auch ohne alle Bärensymbolik aus dieser Konstellation spricht, bestätigt sich im Gedicht:
stirbt mit siebzehn jahren und überlebt dann
schichtet blatt auf blatt
wiederholt in endlosen sätzen
sein ungläubiges staunen, dass er ist
Lambert Schlechter: les repentirs de Froberger, Libourne: la part des anges éditions 2011, S. 109 (Übers. J. W.).**
Der Wiederholungsfuror Bernhards wird direkt in Beziehung gesetzt mit der frühen Bedrohung durch den Tod und der Verblüffung, letztlich doch zu leben. Die entsprechende Schlüsselerfahrung beschreibt Bernhard in seiner autobiographischen Erzählung Der Atem. Eine Entscheidung (1978), in der das Ich nach einer monatelang verschleppten Verkühlung mit einer feuchten Rippenfellentzündung im Spital endet:
Auch ich hätte zu atmen aufhören können. Wie ich jetzt weiß, war ich gegen fünf Uhr früh wieder zurückgebracht worden in den Krankensaal. Aber die Schwestern, möglicherweise auch die Ärzte, waren sich nicht sicher gewesen, sonst hätten mir die Schwestern nicht gegen sechs in der Früh von dem Krankenhauspfarrer die sogenannte Letzte Ölung geben lassen. Ich hatte das Zeremoniell kaum wahrgenommen. An vielen andern habe ich es später beobachten und studieren können. Ich wollte leben, alles andere bedeutete nichts. Leben, und zwar mein Leben leben, wie und solange ich es will.
Thomas Bernhard: Der Atem, in: Die Autobiographie [= Werke 10], hg. von Martin Huber und Manfred Mittermayer, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004, S. 225.
Juliane Werner
Zitate im Original
* »Liese féiert zum Schreiwen a vice versa (…). Wann e jonken Auteur seet e géing net liese well e net wëll influenzéiert ginn. Da soen ech Stopp, looss dech influenzéieren, schreif emol wéi den Hermann Hesse, an da schreifs du wéi de Gottfried Benn, an da schreifs du wéi den Thomas Bernhard. An da bass du vläicht op dengem eegene Wee oder du läis scho laang am Gruef.« (Schlechter 2016: n. p.)
**
»meurt à dix-sept ans et puis survit
entasse feuillet sur feuillet
ressasse en phrases sans fin
son incrédule stupeur d’être«
(Schlechter 2011: 109)
Literaturverzeichnis
Bernhard, Thomas: Der Atem. In: Die Autobiographie [= Werke 10], hg. von Martin Huber und Manfred Mittermayer. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004.
Fellinger, Raimund: »Zum Abschluss der Thomas-Bernhard-Werkausgabe. Teil 2«. In: Logbuch Suhrkamp, 4. November 2015, https://www.logbuch-suhrkamp.de/raimund-fellinger/zum-abschluss-der-thomas-bernhard-werkausgabe-teil-zwei/.
Reuter, Tim: »Vaterland, Unsinn«: Thomas Bernhards (ent-)nationalisierte Genieästhetik zwischen Österreich-Gebundenheit und Österreich-Entbundenheit. Würzburg: Königshausen und Neumann [Film – Medium – Diskurs; Bd. 44] 2013.
Schlechter, Lambert, und Valerija Berdi: »Looss dech influenzéieren«. In: 100komma7.lu, 30. August 2016, https://www.100komma7.lu/article/kultur/looss-dech-influenzeieren.
Schlechter, Lambert: les repentirs de Froberger, mit Zeichnungen von Nicolas Maldague. Libourne: la part des anges éditions 2011.