Mario Schlembach

Der Schriftsteller Mario Schlembach (geb. 1985 in Hainburg an der Donau) wächst auf einem Aussiedlerhof im niederösterreichischen Sommerein auf. Im Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft, der Philosophie und der Vergleichenden Literaturwissenschaft an der Universität Wien materialisiert sich sein »Bernhardwahn« (Schlembach 2020) erstmals mit seiner 2010 eingereichten Diplomarbeit »Die Ursache bin ich selbst.« Zur Inszenierung eines Autors. Thomas Bernhard, in der er die inner- und außerliterarischen Inszenierungsstrategien Thomas Bernhards untersucht. Aus den Vorarbeiten zur Dissertationsschrift entsteht 2017 mit Dichtersgattin sein Debütroman, der »mit dem Thema der Aneignung und Auslöschung von Autorschaft« (Schlembach 2019: 43) am Beispiel Bernhard spielt. 2018 erscheint Schlembachs zweiter Roman Nebel im Otto Müller Verlag, 2022 der dritte, heute graben, das Tagebuch eines Totengräbers, basierend auf den langjährigen Erfahrungen, die Mario Schlembach selbst in diesem Metier hat. Zu seinen Werken zählen neben Romanen und Kurzgeschichten auch Essays und Reportagen, unter anderem veröffentlicht in Der Standard und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sowie Dramolette und Theaterstücke. Eine dramatisierte Fassung von Dichtersgattin wurde 2019 in Innsbruck uraufgeführt.

Es ist ein exzentrisches Ehepaar, auf das in Dichtersgattin Bernhardsche Motive, Themen und Spracheigenheiten umgelegt werden, Hubert und Hedwig. Aus den vorhandenen Anklängen an die Verbindung zwischen Thomas Bernhard und Hedwig Stavianicek (und damit auch zwischen dem Kunstgelehrten Reger und seiner Gattin im Roman Alte Meister, 1985) konstruiert Schlembach ein literarisches Alternativszenario: »Was, wenn Bernhard nichts veröffentlicht und seinen Lebensmenschen Hedwig Stavianicek geheiratet hätte?« (Schlembach 2019: 42).

Das Ergebnis, das der Roman offeriert, ist keines der vollkommenen Harmonie, im Gegenteil: Hedwig wünscht sich vor allem eines: ihr Gatte Hubert solle Bernhards »Suaden« und Handkes »Sprachkunst« (Schlembach 2017: 50) ausgleichen, sich als Schriftsteller zwischen sie reihen und sie selbst damit zu einer »Burgtheaterdichtersgattin« (68) machen. Doch obwohl Hedwig ihn aus der Provinz in das Wiener Kulturleben überführt, enthält Hubert seiner Gattin sein Opus Magnum vor. Er beschränkt sich darauf, zu schweigen und, seinem Beruf nachgehend, Verstorbenen Geschichten anzudichten und sie zu bestatten. Als das ältere Ehepaar den Österreich-Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig besucht, verfällt Hedwig in Rede-Rage: Ihr ausufernder und oft bissiger Monolog über die eigene und die österreichische Vergangenheit und Gegenwart, sorgt dafür, dass Hubert schließlich im Pavillon zusammenbricht und sich gewissermaßen zwischen ihren Worten und Vorwürfen auflöst. So stirbt mit ihm auch Hedwigs Hoffnung auf ein Dasein als Dichtersgattin, Hubert lässt sie als Bestatterswitwe zurück.

Es sind vor allem die Mündlichkeit von Hedwigs Monolog, ihre Allsätze und ihre Übertreibungen, die neben Stilmitteln wie Komposita (à la »Bebrunznation« oder »Burgtheaterblase«, Schlembach 2017: 9, 47), Kursivierungen und Wiederholungen einen bernhardesken Eindruck erwecken. Auch inhaltlich nimmt der Roman immer wieder Bezug auf Bernhard:

Bei Thomas Bernhard waren wir uns uneins. Dich hat seine inszenierte Kritik und sein gekünsteltes Gehabe stets amüsiert, aber ich habe ihn für seine kleinkarierten und rein populistischen Abrechnungen verabscheut. Nichts Leichteres als sich hinzustellen und in einem immerwährenden Monolog, bei dem sich nur der Rahmen etwas ändert, seine verdrängten Probleme und Konflikte auszukotzen. Wie du diese endlosen Monologe ertragen konntest, Hubert, ist mir bis heute ein Rätsel.

Mario Schlembach: Dichtersgattin, Salzburg: Otto Müller Verlag 2017, S. 42.

 

Der derart herabgewürdigte Bernhard dient dennoch als Bezugsgröße des zu erschaffenden Opus Magnum ihres Mannes. Hedwig sieht es als ihre Aufgabe, Hubert diesbezüglich unter Druck zu setzen, denn auch Bernhard und Handke hätten ohne den sie anspornenden »Dichtersgatten« Claus Peymann »nicht einmal ein Drittel der Stücke geschrieben« (Schlembach 2017: 50). Im Gegensatz zu vielen schreibwilligen, aber schreibunfähigen Figuren Bernhards, schreibt Schlembachs Hubert zwar tatsächlich, doch ist er laut Hedwig kein Schriftsteller, da er nichts veröffentlicht. Darin wiederum gleicht er all jenen Bernhardschen Geistesmenschen, die Veröffentlichungen als »Kapitalverbrechen am Geiste« (Bernhard 2006: 30) erachten und Verschriftlichtes, das aufgrund der bedingten und begrenzten Sag- und Haltbarkeit der Dinge ja nur falsch sein kann, lieber vernichten als veröffentlichen. Thomas Bernhard selbst hätte sich – in Hedwigs Augen – seine Veröffentlichungen allerdings ebenfalls sparen können, mit Ausnahme der Titel:

Nur die Buchtitel von Bernhard finde ich wirklich grandios. Es reicht, die Titel von Bernhard zu lesen. Ich wage sogar zu behaupten, die einzige Dichtung bei Bernhard sind seine Titel. […] Alles andere sind bedruckte Seiten voller Wiederholungsmanie und Befindlichkeitsliteratur, die in die furchtbarste Kunst führt.

Schlembach: Dichtersgattin, S. 42f.

 

In Hedwigs Rundumschlag bleiben wenige verschont, über konkrete Persönlichkeiten wie  Thomas Bernhard und Peter Handke hinaus gerät die Gesellschaft im Allgemeinen ins Zielfeuer: Verfall allerorten, besonders jedoch im österreichischen Kulturbetrieb und – vor dem Hintergrund von Hedwigs Burgtheater-Fixierung – im Burgtheater-Ensemble. Ein Punkt, an dem sie eher Milde walten lässt, ist die einstige Involvierung in nationalsozialistische Systeme, etwa die Arbeit ihres Vaters im Kriegsgefangenenlager, der bei seinen Untersuchungen, so Hedwig, »nichts Verwerfliches« (Schlembach 2017: 61) getan habe. Hedwigs Verharmlosung wird mit Huberts (wenn auch einsichtigem) Schweigen ein problematischer Reaktionstypus zur Seite gestellt. Mario Schlembach integriert, nicht nur hier, Aussagen und Verhaltensweisen, die ihm aus seinem Heimatdorf bekannt sind: »Aus dem Texthaufen leuchteten Momente meiner eigenen Geschichte heraus, die ich vorher weder sehen noch ausdrücken konnte, oder auf die ich einfach keinen Zugriff hatte.« (Schlembach 2019: 43) In Dichtersgattin sind eine Reihe von Autobiographemen eingewoben: Hubert ist, wie Schlembach selbst, Totengräber, Romanfigur und Autor verbrachten ihre Kindheit als Bauernsöhne in der Nähe eines Kriegsgefangenenlagers und auch um beider Lungengesundheit steht es nicht zum Besten. In »Morbus Bernhard« berichtet Schlembach 2020 davon, wie bei ihm die »Thomas-Bernhard-Krankheit« (Schlembach 2022a: n. p.) Morbus Boeck diagnostiziert wurde, eine Erfahrung, die stark in seinen letzten Roman heute graben (2022) einfließt und dort durchaus den Hang zu gewissen literarischen Idiosynkrasien erhellt: »Mein Körper ist von einem Virus befallen, der mich innerlich aushöhlt, bis ich um jeden Atemzug kämpfen muss. Ich werde schon wieder theatralisch. Aber bei allem, was ich über diese Krankheit lese, ist der Weg zum Übertreibungskünstler nicht weit.« (Schlembach 2022: 17). Stilistisch hat Schlembach mittlerweile die in Dichtersgattin aufgesetzte Bernhard-»Maske« (Schlembach 2019: 41) abgenommen: »In dem Prozess der ›Überwältigung‹ Bernhards – mich seiner Sprache als Maske zu bedienen und mich wieder davon loszureißen – hatte ich letztlich einen Weg gefunden, um eine eigene Stimme zu entwickeln.« (43).

 

L. H.

Literaturverzeichnis

Bernhard, Thomas: Beton [= Werke 5], hg. von Martin Huber und Wendelin Schmidt-Dengler. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006.

Schlembach, Mario: »Der angewandte Bernhard. Eine Studie als Odyssee ohne Ende«. In: SALZ. Zeitschrift für Literatur 2019, Nr. 176 (»Zu Thomas Bernhard«). S. 40-43.

Schlembach, Mario: Dichtersgattin. Salzburg: Otto Müller Verlag 2017.

Schlembach, Mario: heute graben. Wien: Kremayr & Scheriau 2022.  

Schlembach, Mario: »Mario Schlembach über seinen Sommer im Thomas-Bernhard-Haus«. In: Der Standard, 2. September 2018, https://www.derstandard.at/story/2000086447995/mario-schlembach-ueber-seinen-sommer-im-thomas-bernhard-haus-in (eingesehen 20. April 2022).

Schlembach, Mario: »Morbus Bernhard«. In: Der Standard, 13. September 2020a, https://www.derstandard.at/story/2000119931008/morbus-bernhard (eingesehen 20. April 2022).