Stefan Weinberg

Bleibt der Bernhard-Verdacht in vielen Werken durch uneindeutige Stilanleihen und nicht dingfest zu machende Verweise im Vagen, animieren manche Schriftsteller:innen die Lesenden regelrecht zur Spurensuche, indem sie ihren Werken Bernhard-Motti voranstellen (bis zu drei, siehe Jacek Dehnel), Bernhard-Bilder als Buchcover verwenden (siehe Gómez Macchia), wenn nicht gar Bernhards Namen in Titeln führen (siehe Huot, Eliraz, Castellanos Moya und die Thomas-Trilogie von Vitaliano Trevisan). Ein frühes Beispiel ist die Prosa Thomas Bernhard im Traum erschienen (1993) von Stefan Weinberg, ein Pseudonym, hinter dem sich der in München tätige Verlagslektor und umtriebige Autor Jost Perfahl verbirgt, zu dessen Publikationsportfolio Theaterstücke und Rätseldichtungen ebenso zählen wie Nietzsche-Editionen, Lichtenberg-Anthologien, Goethe-Reisebegleiter, Goethe-Weinbegleiter, Wien-Chroniken sowie Sammlungen und Studien, die ihn als profunden Hochgebirgs- und Mozartkenner ausweisen. Thomas Bernhard im Traum erschienen taucht ein in die Welt der Bildenden Kunst, ebenfalls bekanntes Terrain für den promovierten Kunsthistoriker und Germanisten Perfahl.

Überhebliche Geistesmenschen-Verzweiflung und Idiosynkrasien der öffentlichen Kunstfigur Thomas Bernhard amalgamieren sich in Stefan Weinbergs Protagonisten-Duo zu einem erzählenden Ich und seinem Idol, dem vielkopierten und doch unerreichten Maler Hochsteiner. Träumend und Gespräche imaginierend verfällt das Ich seinem Vorbild zuletzt so weit, dass es sich mit ihm verwechselt.

Das zugrundeliegende Dilemma: Das Ich fühlt sich von Hochsteiners Malerei, die seiner eigenen genau entspricht, erdrückt und damit letztlich eingekeilt zwischen zwei Aussichtslosigkeiten: jener des Epigonentums und jener des Nicht-mehr-Malens. In Teilen die Konstellation von Bernhards Roman Der Untergeher (1983) wachrufend, in dem der berichterstattende Pianisten mit überhohen Ansprüchen vor Glenn Goulds Genie kapituliert hat, liest sich Weinbergs Prosa zugleich wie ein Kommentar auf die Wege all jener, die vor, nach oder während ihrer Bernhard-Adaption ihre schriftstellerischen Ambitionen aufgeben. Besonders vor den Kopf gestoßen fühlen sich die von Bernhard vermeintlich vorträglich bestohlenen Figuren, die behaupten, sie hätten vor Bernhard wie Bernhard geschrieben (siehe Gaddis, Sauer). Dem malenden Ich in Thomas Bernhard im Traum erschienen geht es nicht anders:

Genau das, was ich suchte, hatte Hochsteiner bereits gefunden und in kaum übertreffbarer Form freigelegt, wie es mir, vielleicht, nie gelungen wäre. (Andererseits mußte ich immer wieder feststellen, daß ich etwas schon selbst gemalt hatte, was ich erst später in einem neuen Gemälde Hochsteiners entdeckte, etwas, was eindeutig feststellbar erst nach meinem Gemälde von Hochsteiner gemalt worden war.) Solche Begegnungen mit Bildern Hochsteiners verkleinerten mich, zerkleinerten mich, und ich sagte zu mir: Jetzt ist alles aus! (…) 

Ich muß, sagte ich zu mir, meine Malerei aufgeben, denn die Wege, die Hochsteiner mir mit seiner Malerei gezeigt hat, kann ich nicht beschreiten, weil es seine Wege sind. Man wird mich, so sagte ich mir – wieder im Zug nach Göllersberg sitzend –, als einen lächerlichen Epigonen bloßstellen und verachten, wenn ich mich der Machart Hochsteiners bediene, ihn darin kopiere, ja man wird mich vielleicht sogar vor Gericht bringen und mir den Prozeß machen, wegen Plagiats, und damit dem künstlerischen Zusammenbruch noch den finanziellen hinzufügen. (...) Gewiß, ich hätte versuchen können, Hochsteiner zu umgehen, aber damit, so schien es mir wiederum, hätte ich zugleich meine eigene Malerei, mein ureigenes Malen (oder vermeintlich ureigenes) umgangen. Also gut, sagte ich mir, wie schon einige Male, es ist alles aus.

Stefan Weinberg: Thomas Bernhard im Traum erschienen, München: Bibliothek zeitgenössischer Literatur 1993, S. 83ff.

 

Juliane Werner

Literaturverzeichnis

Weinberg, Stefan: Thomas Bernhard im Traum erschienen. München: Bibliothek zeitgenössischer Literatur 1993.