Alois Brandstetter

(Geb. 1938 in Aichmühl bei Pichl bei Wels) 

Als der Inspektor dem Onkel den Namen Vlöhrer nannte, hatte der Onkel den Namen wohl schon gehört, aber natürlich keines von den berühmt-berüchtigten pessimistischen Büchern des großen Schwarzsehers gelesen. Erst später hat der Onkel aus berechtigter Neugier in eins oder das andere dieser damals vielgepriesenen trostlosen Bücher hineingelesen. Und erst nachdem er in das eine oder andere der düsteren Bücher des unglücklichen Vlöhrer hineingesehen hatte, habe er sich über den Selbstmord des Vlöhrer auch weiter nicht mehr wundern müssen. […]

Damit hatte zuletzt jener Teil der Vlöhrerkenner recht behalten, der von Anfang an der Meinung war, der Autor dieser schwerblütigen und schwermütigen Bücher werde einmal wie so viele seiner Romanfiguren und Helden durch Freitod enden, während andere Leser und Literaturfachleute manchmal den Verdacht geäußert hatten, der Autor sei im Gegenteil ein Mensch, der persönlich von den Greueln seiner Literatur gänzlich oder doch weitgehend unberührt und unbetroffen sei, daß die Düsternis also nur eine veranstaltete Aufführung darstelle, wie diese zweite Gruppe von Vlöherkennern (und Vlöhrergegnern) es für unverantwortlich und moralisch verwerflich hielt, daß mit dem Entsetzen Spaß getrieben werde und vor allem jugendliche Leser, die Vlöhrers Bücher wie in einer Sucht verschlagen und den sinistren Spaß für Ernst nehmen, in die Negativität und in einen tödlichen Nihilismus getrieben würden und aus dieser Stimmung heraus nicht selten Selbstmord verübten. Diese Kritiker hielten somit Vlöhrer für einen selbst immunen und von der dargestellten verheerenden Melancholie nicht affizierten Unternehmer, für einen selbst nicht süchtigen Drogenhändler.

Alois Brandstetter: Die Mühle, Innsbruck, Wien: Haymon 2010, S. 41f.