Die geborenen Wiener bringen naturgemäß eine angeborene Wien-Abneigung mit sich, die sie von ihren zugereisten Eltern vererbt bekommen haben. Das Trauma des Nach-Wien-Kommens hat sich so tief ins Gehirn der Eltern gefressen, dass es ins Erbgut hineingesickert ist und so an die Nachkommen weitergereicht wird. Der geborene Wiener hasst Wien somit von Geburt an ohne jeden Grund. Es liegt in seiner Natur, Wien zu hassen. Der genuine Wiener geht nur deshalb nicht aus dem ihm verhassten Wien fort, weil er den Rest der Welt noch ein kleines bisschen mehr hasst. (…)
Deshalb ist der Zivi nicht nach Berlin ausgewandert. Auch wenn er seine Freundin dafür verantwortlich macht. In Wirklichkeit liegt es daran, dass er im tiefsten Inneren ein Wiener ist. Mit einer klaffenden Leere in seiner Brust und einem Buch von Thomas Bernhard anstelle der Seele.
Elias Hirschl: Hundert Schwarze Nähmaschinen, München: btb 2019, S. 112f.