Ingeborg Bachmann

Ingeborg Bachmann, geboren 1926 in Klagenfurt, gestorben 1973 in Rom, ist eine der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller:innen des 20. Jahrhunderts. Nach Abschluss ihres  Studiums arbeitet sie in den frühen 1950er Jahren als Redakteurin beim Wiener Radiosender ›Rot-Weiß-Rot‹, wo ihr erstes Hörspiel Ein Geschäft mit Träumen (1952) entsteht. Ein wichtiger Moment auf ihrem frühen literarischen Weg ist die Verleihung des Literaturpreises der ›Gruppe 47‹ für ihren Gedichtband Die gestundete Zeit (1953). In ähnlichem Geiste zeichnet heute der 1976 zu ihren Ehren geschaffene ›Ingeborg-Bachmann-Preis‹ noch eher unbekannte Autor:innen bei den alljährlich in Klagenfurt stattfindenden ›Tagen der deutschsprachigen Literatur‹ aus. Bachmanns auch für die feministisch orientierte Literaturwissenschaft zentraler Erzählband Das dreißigste Jahr wird 1961 veröffentlicht, zehn Jahre später erscheint der Roman Malina, als Anfang ihres großangelegten Todesarten-Projekts. Ingeborg Bachmann verbringt die letzten 20 Jahre ihres Lebens überwiegend in Italien. Dass die erste Bernhard-Übersetzung (»Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?« 1971 im Sonderband Adelphiana des Adelphi-Verlags) »auf Bachmanns Anregung erfolgte«, ist, so Bachmanns und Bernhards Übersetzer Luigi Reitani, »nicht auszuschließen« (Reitani 1995: 298).

Wie sehr diese Bücher die Zeit zeigen, was sie gar nicht beabsichtigen, wird eine spätre erkennen, wie eine spätre Zeit Kafka begriffen hat. In diesen Büchern ist alles genau, von der schlimmsten Genauigkeit, wir kennen nur die Sache noch nicht, die hier so genau beschrieben wird, also uns selber nicht. […] Ich bin überzeugt, daß die letzte Prosa von Bernhard über die Becketts weit hinausgeht, ihr unendlich überlegen ist, durch das Zwingende, das Unausweichliche und die Härte. 

Ingeborg Bachmann: »[Thomas Bernhard:] Ein Versuch. Entwurf«, in: Essays, Reden, Vermischte Schriften, Anhang [= Werke 4], hg. von Christine Koschel, Inge von Weidenbaum und Clemens Münster, München, Zürich: Piper 1978. S. 361-364; hier S. 361ff.

 

Diese beachtliche Prognose zum Werk Thomas Bernhards trifft Ingeborg Bachmann im Jahr 1969, nachdem sie und Bernhard einander bereits kennengelernt haben (vgl. Albrecht/Göttsche 2002: 18). Mit Blick auf Prosa (1967), Verstörung (1967) und Watten (1969) liest Bachmann bei Bernhard vor allem »die Verstörung, in der sich jeder befindet« (Bachmann 1978: 364). Eine Verstörung, die sie nachvollziehen kann, glaubt man der Charakterisierungen in Bernhards Kurzprosa-Sammlung Der Stimmenimitator (1978): Seine fiktionalisierte Bachmann war »über den Gang der Welt und den Ablauf der Geschichte […] zeitlebens erschrocken« (Bernhard 2003: 341). Bernhards autobiographische Schriften lassen deutlich den Effekt erkennen, den das Grauen des Nationalsozialismus, das »erbarmungswürdigste Menschenelend« (Bernhard 2004: 59) nach den alliierten Bombenangriffen auf Salzburg, die folgende »Nachkriegskatastrophe« (Bernhard 2004: 151) und die beinahe tödlich endende Lungenerkrankung in jungen Jahren auf sein Schreiben hatten; es entstehen besonders offenkundig in Bernhards Frühwerk »Bücher über die letzten Dinge, über die Misere des Menschen« (Bachmann 1978: 363). »Von letzten Dingen«, so auch der Name eines Kapitels in Bachmanns Roman Malina (1971), lässt sich nie ganz schweigen, »das allgemeine Unglück, das alle Menschen so schwer trifft« (Bachmann 1980: 288), bricht sich hier ebenfalls Bahn. In seiner Radikalität ist der Roman Malina – wenngleich Bernhard ihn weit weniger lobte als Bachmanns Lyrik – eng mit Bernhards Schreiben »verbunden« (Wandruszka 2009/10: 59).

Das Philosophische wird zwischen Bernhard und Bachmann ein auch intertextuell manifester Berührungspunkt bleiben. Bachmann, längst eine »Geistesverwandte« (Albrecht/Göttsche 2002: 36), dient als reales Vorbild für mehrere Figuren in Bernhards Werk, insbesondere für Maria, die »philosophische Autorität« (Wandruszka 2009/10: 57) im 1986 veröffentlichten Roman Auslöschung. Ein Zerfall (vgl. Gehle 1995: 159-180). Dessen Held Murau greift mit seinem Urteil über die »intelligenteste Dichterin« (Bernhard 2009: 400) auf, was das Ich im Text »In Rom« der Kurzprosa-Sammlung Der Stimmenimitator (1978) bereits über eine stark an Bachmann angelehnte Figur ausgesagt hat: Sie sei »die intelligenteste und bedeutendste Dichterin, die unser Land in diesem Jahrhundert hervorgebracht hat«, er habe »viele ihrer philosophischen Ansichten geteilt« (Bernhard 2003: 341). Eins jedoch ist unverzeihlich, jedenfalls für die Figur Reger in Alte Meister (1985), nämlich die »totale Geistesniete« (Bernhard 2008: 60) Martin Heidegger zum Gegenstand der eigenen Doktorarbeit zu machen (Bachmann reicht 1949 an der Universität Wien die von Viktor Kraft betreute Arbeit Die kritische Aufnahme der Existentialphilosophie Martin Heideggers ein): »Wenn ich denke, daß selbst übergescheite Leute auf Heidegger hereingefallen sind und daß selbst eine meiner besten Freundinnen eine Dissertation über Heidegger gemacht hat, und diese Dissertation auch noch im Ernst gemacht hat, wird mir heute noch übel, sagte Reger. Dieses nichts ist ohne Grund, ist das Lächerlichste, so Reger.« (Bernhard 2008: 59)

 

J. W.

 

Literaturverzeichnis

Albrecht, Monika, und Dirk Göttsche (Hg.): Bachmann-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart, Weimar: Metzler 2002.

Bachmann, Ingeborg: Malina. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1980.

Bachmann, Ingeborg: »[Thomas Bernhard:] Ein Versuch. Entwurf«. In: Essays, Reden, Vermischte Schriften, Anhang [= Werke 4], hg. von Christine Koschel, Inge von Weidenbaum und Clemens Münster. München, Zürich: Piper 1978. S. 361-364.

Bernhard, Thomas: Alte Meister. Komödie [= Werke 8], hg. von Martin Huber und Wendelin Schmidt-Dengler. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008. 

Bernhard, Thomas: Auslöschung. Ein Zerfall [= Werke 9], hg. von Hans Höller. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009.

Bernhard, Thomas: Die Autobiographie [= Werke 10], hg. von Martin Huber und Manfred Mittermayer. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004.

Bernhard, Thomas: Der Stimmenimitator. In: Erzählungen, Kurzprosa [= Werke 14], hg. von Hans Höller, Martin Huber und Manfred Mittermayer. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003. 

Gehle, Holger: »Maria: Ein Versuch. Überlegungen zur Chiffrierung Ingeborg Bachmanns im Werk Thomas Bernhards«. In: Antiautobiografie. Zu Thomas Bernhards ›Auslöschung‹, hg. von Hans Höller und Irene Heidelberger-Leonard. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995. S. 159-180.

Reitani, Luigi: »Wenn die Metaphysik zur Politik wird. Zur Bernhard-Rezeption in Italien«. In: Kontinent Bernhard. Zur Thomas-Bernhard-Rezeption in Europa, hg. von Wolfram Bayer. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1995. S. 297-318.

Wandruszka, Marie Luise: »›Land meiner Wahl‹. Ingeborg Bachmann und Thomas Bernhard«. In: Thomas Bernhard Jahrbuch 2009/10. S. 55-71.