Olav Løkken Reisop

Olav Løkken Reisop, geboren 1980 im norwegischen Kløfta, hat nach dem Architektur- und Literaturwissenschaftsstudium, das er 2012 mit einer Arbeit über das Werk Jan Kjærstads abgeschlossen hat, eine Zeitlang in Berlin gelebt und in Oslo als Literaturkritiker beim Dagbladet gearbeitet. Als schriftstellerisches Debüt erschien 2011 die Prosa Pastisj (dt. Pastiche), die dem Titel getreu Kurztexte enthält, die literarische Vorbilder stilistisch nachahmen, darunter Dag Solstad, Joseph Conrad und James Joyce. Die im Verlagstext aufgestellte These, letztlich seien alle Debütwerke Pastiches, wird dabei ausdrücklich ins Positive gewendet: Originalität und Authentizität erscheinen hier nicht als etwas Erstrebenswertes, die eigentliche Originalität zeigt vielmehr in der Imitation, und die gelingt Reisop, dem »Stildieb der Extraklasse« (»Stiltyv av høy klasse«, Krøger: 2011: n. p.; Übers. J. W.). Im Text befindliche Pauschalaussagen wie: »Ein gutes Buch ist eine Reproduktion früherer Bücher, jedes neue Buch ist eine Beleidigung« (»En god bok er en reproduksjon av tidligere bøker, enhver ny bok er en fornærmelse.«; Reisop 2011: 29; Übers. J. W.) lassen bereits vermuten, dass Reisop auch Bernhards Stil etwas abgewinnen kann, was sich 2015 mit Grandiosa (dt. Grandios) bewahrheitet.

Der Roman Grandiosa ist eine modernisierende Adaption von Bernhards Holzfällen. Eine Erregung (1984), die das »abstoßende künstlerische Abendessen« (Bernhard 2007: 11) aus dem Wien der 1980er Jahre in das Oslo der Jetztzeit verlegt. Gilt Bernhards Werk zu Beginn der 1985 in Norwegen einsetzenden Rezeption als düster und schwierig, wird der Autor nach der Übersetzung von Holzfällen (Trær som faller, 1990) laut seinem Übersetzer Sverre Dahl »in den literarisch interessierten Kreisen Norwegens zu einem Begriff« (Dahl 1995: 404), besonders bei schreibenden Kolleg:innen. So lehnt sich bereits Dag Solstads Professor Andersens natt (1996, dt. Professor Andersens Nacht, 2005) bis zu einem gewissen Grad an Bernhards Holzfällen an, wenn der titelgebende Held bei einem Weihnachtsdinner ausführlich kommentiert, wie seine alten Bekannten all ihre Ideale aufgegeben haben. Die Attacken auf die beim Abendessen anwesenden »Künstlerattrappen« (Bernhard 2007: 64), die »von ihren literarischen Ausgangsvisionen und Ausgangsintentionen und Ausgangsleidenschaften [...] sehr gründlich eingeschwenkt [sind] in die verabscheuungswürdige Staatsanbiederungskunst« (157), übernimmt auch Reisop in Grandiosa.

Die Hauptfigur kommt der Dinner-Einladung bei Bekannten nur widerwillig nach. In der extravaganten Wohnung des Architekten Slependen finden sich ein Theaterregisseur, ein Verlagslektor, ein Schriftsteller und ein Professor der Norwegischen Akademie der Künste ein. Die prätentiösen Gäste diskutieren – anstelle der Burgtheater-Aufführung von Ibsens Wildente bei Bernhard – die Produktion einer Theaterversion von Holzfällen am Osloer Nationaltheater. Ein Bocuse d’Or-Koch bereitet das Essen zu, es wird zu viel getrunken. Die Stimmung kippt schließlich und die anwesende Kulturelite wird Zeuge, wie die Eheleute Slependen in einen unangenehmen Streit geraten, an dem Thomas Bernhard nicht ganz unschuldig ist:

Lovise versuchte, den Namen des Ehepaares auszusprechen, über das sich Bernhard in Holzfällen lustig macht, Auu…, Aus…, sagte sie, selbstverständlich ohne die Ironie zu bemerken, die entstand, als sie sich nicht erinnern konnte, wie sie hießen. Auersberger, sagte ich laut und deutlich, woraufhin sie mehrmals in neue Kehlgeräusche ausbrach und Auersberger rief. Auersberger, Auersberger, Auersberger, das stimmt, die schrecklichen Auersberger, schrie sie, bis Rolf Halt den Mund, Weib, rief, und sie versuchte zu lachen, noch forcierter als zuvor, vermutlich, um die Zurechtweisung ihres Ehemannes weniger als aggressive Zurechtweisung erscheinen zu lassen denn als eine Umgangsform, mit der sie vertraut waren.

Olav Løkken Reisop: Grandiosa, Flamme Forlag 2015, n. p. (Übers. J. W.).*

 

Reisop schließt den Norwegen-Österreich-Norwegen-Kreis mit seiner Holzfällen-Aneignung, die verschiedene Versatzstücke des Originaltexts variiert, kombiniert und aktualisiert, in der zitierten Passage, indem er konkret auf die Begräbnisszene im niederösterreichischen Kilb anspielt, bei der sich die Ehe-Tristesse der Auersbergers am Beispiel von Ibsens Wildente offenbart:

Immer wieder wollte die Auersberger sagen, als was der Schauspieler in der Wildente aufgetreten sei und einen so großen Erfolg gehabt habe, aber sie konnte es nicht sagen, solange nicht, bis ich Ekdal sagte, worauf sie mehrere Male in Hysterie ausgebrochen das Wort Ekdal in den Wirtshaussaal hineinschrie, so, daß es peinlich gewesen war, immer wieder schrie sie Ekdal, Ekdal, Ekdal, richtig, Ekdal, bis der Auersberger sagte, sie solle ruhig sein.

Thomas Bernhard: Holzfällen. Eine Erregung [= Werke 7], hg. von Martin Huber und Wendelin Schmidt-Dengler, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007, S. 73f.

 

J. W.

Zitate im Original

* »Lovise forsøkte å uttale navnet på det ekteparet Bernhard harselerer over i Trær som faller, Auu…, Aus…, sa hun, selvfølgelig uten å merke seg ironien som oppstod idet hun ikke klarte å huske hva de het. Auersberger, sa jeg høyt og tydelig, hvorpå hun flere ganger brøt ut i nye tilkjempede strupelyder og ropte Auersberger. AuersbergerAuersbergerAuersberger, det stemmer, de forferdelige Auersbergerne, skrek hun, helt til Rolf ropte Hold kjeft, kjerring, og hun forsøkte å le, enda mer tilgjort enn tidligere, antagelig for å få ektemannens irettesettelse til å virke mindre som en aggressiv irettesettelse enn som en omgangsform de var fortrolige med.« (Reisop 2015: n. p.)

Literaturverzeichnis

Bernhard, Thomas: Holzfällen. Eine Erregung [= Werke 7], hg. von Martin Huber und Wendelin Schmidt-Dengler. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007.

Dahl, Sverre: »Starke Lektüre. Bernhard in Norwegen«. In: Kontinent Bernhard: Zur Thomas-Bernhard-Rezeption in Europa, hg. von Wolfram Bayer. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1995. S. 404-413.

Reisop, Olav Løkken: Grandiosa. Oslo: Flamme Forlag 2015.

Reisop, Olav Løkken: Pastisj. Oslo: Flamme Forlag 2011.

Krøger, Cathrine: »Han har en fantastisk evne til å skrive seg inn i andres stil«. In: Dagbladet, 19. Dezember 2011, https://www.dagbladet.no/kultur/han-har-en-fantastisk-evne-til-a-skrive-seg-inn-i-andres-stil/63449861 (eingesehen 25. Juni 2022).