Javier García Sánchez

Javier García Sanchez wird 1955 in Barcelona geboren. Nach dem Journalistik-Studium in Madrid arbeitet er für Zeitungen wie El País und El Viejo und veröffentlicht 1980 einen ersten Gedichtband. In der Folge sind es vor allem Prosawerke, mit denen er – als Vertreter einer neuen, innovativen Erzählkunst, der »nueva narrativa española« – bekannt wird, insbesondere mit seinem zweiten Roman La dama del viento sur (1985, dt. Die Dame des Südwinds). Zu seinem vielfältigen Werk zählen historische Romane ebenso wie Kinderliteratur und Sportler:innen-Biographien, etwa über den spanischen Rekord-Radrennfahrer Miguel Indurain (1998). In seinen essayistischen und theoretischen Arbeiten behandelt Sanchez sowohl deutsche Literaturgeschichte wie spanische Philosophie, aber auch konkrete Ereignisse wie zuletzt das Attentat auf John F. Kennedy.

[D]as Problem, denke ich, war, dass ich mich in Olga verliebte, während sie sich bloß an meine Liebe gewöhnte – sagte er – , an meine Liebe, die sich in einen wahren Wasserfall aus getanen Dingen, aus gesagten Dingen und aus vermeintlichen Dingen verwandelt hatte. Dinge, die sie grundsätzlich überraschten, denke ich, sei es auch nur wegen der feurigen Neuheit, die ihr später schmeichelten, die sogar sehr schmeichelten, und die viel später, nehme ich an, gemäß dem Gefühl sich übermäßig geschmeichelt zu fühlen, dazu führten, denke ich, dass sie sich erschreckt hat oder es nicht mehr lustig fand.

Javier García Sánchez: La Dama del Viento Sur, Barcelona: Anagrama 1993, S. 232 (Übers. A. B.)*

Hans Kruger hat sich in seine Arbeitskollegin verliebt. Olga heißt sie, Olga Dittersdorf. Aus geschriebenen Nachrichten und Treffen in einer Bar wird schnell eine Obsession. Wo Hans auch sein mag, Olga ist fester Bestandteil seiner Gedankenwelt. Morgens, mittags, abends, nachts. Nach einer Rauferei mit einem Arbeitskollegen landet Hans, dessen Geschichte aus der Perspektive seines Vertrauten Andreas Dörpfeld erzählt wird, schließlich in der Psychiatrie, wo er seine Beziehung zu Olga bis ins kleinste Detail seziert. 

Im Roman La dama del viento sur (1985) ist Bernhards Einfluss, den Javier García Sánchez in einem Interview mit El Independiente drei Jahre später auch bestätigt (vgl. Fortea, 2017: 331), insbesondere auf textueller Ebene ersichtlich. Tatsächlich müsste man den Text nicht einmal lesen, um potenzielle Gemeinsamkeiten zu erkennen; es würde reichen, das Buch durchzublättern, so augenscheinlich ist die Hervorhebung bestimmter Wörter durch Kursivierungen, wie sie Thomas Bernhard immer wieder vorgenommen hat. Diese Hervorhebungen unterstreichen ebenso wie sie verfremden, die Worte werden zu sehr betont, um sie uneingeschränkt glauben zu können.

Neben der Textgestaltung gleicht auch die monologartige Erzählweise, die geprägt ist von Analepsen, Wiederholungen und von der Tendenz zur Kreisförmigkeit (vgl. Fortea 2017: 331), Bernhards Prosa. Durchbrochen werden diese Satzgefüge, im Sinne einer ans Vorbild angelehnten schriftlichen Mündlichkeit, vom regelmäßig eingeschobenen »dijo Hans« (dt. sagte Hans). Nicht, dass die Leser:innen noch vergessen, wer da spricht. Dabei ist es immer Hans, der spricht. Oder besser gesagt: Andreas, der darüber spricht, was Hans spricht. Mit dieser Erzählkonstruktion wird ein unzuverlässiges Erzählen möglich, ohne den Erzähler des Romans selbst unzuverlässig wirken zu lassen. Dennoch gesteht dieser seine Überforderung unumwunden ein:

Mein Name ist Andreas Dörpfeld, obwohl diese Angabe keine Wichtigkeit hat, und wenn ich mich dazu entschieden habe diese Geschichte zu erzählen, dann schlicht und ergreifend, weil ich glaube, dass ich der einzige direkte Zeuge dessen bin, was meinem Freund und Arbeitskollegen, Hans Kruger, widerfahren ist, aufgrund des Kennenlernens eines Mädchens, das auch mit uns arbeitete, Olga Dittersdorf, eine Beziehung, die ihn zutiefst bewegte und die mir, trotz allem, erst allmählich klar wurde, da die Entwicklung der Ereignisse selbst, einfach in ihrer Erscheinung aber mit trübem Substrat, die ich bis jetzt noch nicht vollständig verstehen konnte, mich bei weitem überfordert hat.

García Sánchez: La Dama del Viento Sur, S. 11 (Übers. A. B.).**

 

In Bezug auf den Inhalt wird es schwieriger, wenn auch nicht unmöglich, Ähnlichkeiten zu Thomas Bernhards Werk zu finden. Zwar ist obsessive Liebe nicht unbedingt dessen thematisches Kerngebiet, monomanische Besessenheit an und für sich ist seinen Figuren jedoch keineswegs fremd. 

Eine besondere Bernhard-Anspielung flicht García Sánchez in das Romangeschehen ein. So kommt es zu einer auf Namensebene symbolisch aufgeladenen Auseinandersetzung zwischen Hans und einem Arbeitskollegen namens Handke. Dieser, als Mann gewissen Alters beschrieben, mit dem niemand auskommt und dessen Verhalten äußerst unangenehm ist, wird von Hans ordentlich verprügelt (vgl. García Sánchez 1993: 34). Bei solch projektiver Parteinahme dürfte García Sánchez das spanische ›Bernhard Fieber‹ (vgl. Scharm 2020: 140; vgl. Warmuth 1992) ausgiebig befallen haben. 

A. B.

Zitate im Original

* »[E]l problema, pienso, era que yo me enamoré de Olga mientras que ella simplemente acabó acostumbrándose a mi cariño – dijo –, a mi cariño convertido en una auténtica catatarata de cosas hechas, cosas dichas y cosas supuestas. Cosas que en principio lo soprendieron, pienso, aunque fuese por lo fogoso de la novedad, que luego la halagaron, que incluso la halagaron mucho, y más tarde, supongo, a tenor de haberse sentido exesivamente halagada, pienso, hicieron que se asustara o que dejase de encontrarlese gracia.« (García Sánchez 1993: 232)

** »Mi nombre es Andreas Dörpfeld, aunque ese dato no tiene importancia, y si me he decidido a contar esta historia es, sencillamente, porque creo que fui el único testigo directo de lo que le ocurrió a mi amigo y compañero de trabajo, Hans Kruger, a raíz de haber conocido a una chica que también trabajaba con nosotros, Olga Dittersdorf, relación que le afectó profundamente y de la que, pese a todo, yo tomé conciencia sólo de una forma paulatina, cuando la propia evolución de los hechos, sencillos en apariencia pero con un turbio sustrato que aún no he alcanzado a entender, me desbordó con creces.« (García Sánchez 1993: 11)

Literaturverzeichnis

Fortea, Carlos: »Der beste Schriftsteller des spanischen Realismus. Thomas Bernhard in Spanien«. In: Kontinent Bernhard. Zur Thomas-Bernhard-Rezeption in Europa, hg. von Wolfram Bayer. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1995. S. 319-337.

Sánchez, Javier García: La Dama del Viento Sur. Barcelona: Anagrama 1993.

Scharm, Heike: »Thomas Bernhard, a Writer for Spain«. In: Thomas Bernhard’s Afterlives, hg. von Stephen Dowden, Gregor Thuswaldner, und Olaf Berwald. New York: Bloomsbury [= New Directions in German Studies; Vol. 30] 2020. S. 137-156.

Warmuth, Daniela: Die Rezeption von Thomas Bernhard in Spanien (1978-1989). Wien: Diplomarbeit, Universität Wien 1992.