Martin sah eine vom Fernsehen übertragene Gedenkfeier, in der ein Kardinal, der Vizekanzler, ein Universitätsprofesser und ein Bauer, der in seiner Nähe gewohnt hatte, über den größten Schriftsteller des Landes sprachen. Kompromisslos sei er gewesen, sagte der Vizekanzler, die Heimat könne stolz sein, ihn gefördert zu haben. Er habe ungeheure Widerstände überwunden, sagte der Kardinal, er habe unter dem Christentum gelitten, aber er sein doch Christ gewesen wie kaum einer. Eine Hassliebe, sagte der Professor, anders könne man es nicht sagen, tiefer Hass, tiefe Liebe, und was ihn selbst betreffe, so werde er bis zu seiner Emeritierung über nichts und niemand anderen mehr lehren, Studenten denen dies nicht passe, könnten ja gehen, es gebe auch andere Länder! Zum Schluss erzählte der Bauer davon, wie der größte Schriftsteller des Landes vor Freude getanz hatte, als sein Vorgänger, der gröte Schriftsteller bis dahin, gestorben war; jetzt sei er an der Reihe, habe er gebrüllt, jetzt sei es endlich soweit!
Daniel Kehlmann: »Loden«, in: Jugend sucht Sinn, Wien: Carl Ueberreuter [= BAWAG-Edition Literatur] 2004, S. 70-74; hier S. 72f.