David Wonschewski

(Geb. 1977 im Münsterland)

»Du liest bis spät in die Nacht diesen grässlichen Thomas Bernhard«, hat Marie mir damals dauernd vorgehalten. »Und dann schluckst du am nächsten Morgen deine Paroxetin, als ginge es darum, das am Abend zuvor bei diesem Bernhard Gelesene, das Gedachte und in den Stunden des Schlafs schließlich Geträumte durch Antidepressiva wieder rückgängig zu machen. Und wenn nicht das, so doch zumindest alles in dir Aufgenommene und nur halbherzig Verarbeitete kräftig zu betäuben. Du betäubst dich, in der Hoffnung ein besserer Mensch zu werden«, hat Marie wieder und wieder gesagt (…).

Dieser Schmerz jedoch, der bereits nach wenigen Sekunden von blanker Panik abgelöst wurde, als ich sah, dass Marie meine Lieblingsbücher entsorgt hatte; dieser Schmerz wird mir für alle Zeit gegenwärtig bleiben. Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung – weg! Kierkegaard und sein Tagebuch des Verführers – fort! Sartres Ekel, Bernhards Auslöschung, das tocotronische Textbuch – Vergangenheit!

 

David Wonschewski: Schwarzer Frost, Berlin: Periplaneta 2019, S. 19-20.