Ich war in einer Klosterschule der Benediktiner und habe dort sehr früh durch einen großartigen Deutschlehrer, der später am Alkohol zugrundegegangen ist, die ersten Arbeiten von Bernhard gelesen und war fasziniert, ja begeistert, in seinen Büchern etwas wiederzufinden, was ich bis dahin für das Alltägliche gehalten habe, nämlich Orte, Namen, Landschaften, in denen ich die Namen und Landschaften meines Lebens wiedererkannte. Dass diese Wirklichkeit in einem Roman ihren Niederschlag finden konnte, war mir neu. Und dass Literatur das mir vertraute oder auch verhasste Leben zur Sprache brachte, eine große Erfahrung. Dass im weiteren Verlauf meiner Bernhard-Lektüre Themen und Erzähltöne immer monotoner wurden, führte schließlich zu meiner einschränkenden Lesermeinung, dass hier einer mit relativ beschränktem Vokabular, mit beschränkter Bildung und einem relativ beschränkten stilistischen Vermögen offensichtlich auf eine seltsame Art rotierte – etwa in der gestanzten Empörung über eine Welt, in der er doch verhältnismäßig bequem residierte. Bernhards Bücher, dachte ich, kann einer selbstverständlich immer wieder lesen, aber nur, wenn er sich für andere Formen des Erzählens ebensowenig interessiert wie der empörte Herr aus Ohlsdorf, meinem Nachbardorf übrigens. Ich bin dann irgendwann, ich will nicht sagen, abgesprungen, aber doch unauffällig abgedriftet und habe die Bernhardgemeinde ihrem Schicksal überlassen.
Christoph Ransmayr, Interview mit Kay Wolfinger, Sonthofen, 11. Mai 2024.