Die Musik wäre ihm völlig egal, sagte Weinwurm betrübt zu mir, während wir, wie so oft, andächtig von der Kaltwasserheilanstalt zur Lorettokapelle gingen, auch wenn er, Weinwurm, fast zur Gänze sich befreit hätte von dahingehenden Allmachtsfantasien, irritierte ihn die Passionslosigkeit dieser Menschen doch über alle Maßen. Er sprach an diesem Nachmittag von seinem Konkurrenten B., dessen Besetzung in leitender Funktion an der Musikalischen Akademie wohl ein Mitgrund für sein sich rapide verschlechterndes Nervenleiden gewesen sein musste, das ihm Arbeit aller Art, die Fortsetzung seiner kontrapunktischen Studien ebenso wie das brotberufliche Dirigieren, insbesondere aber die geistig herausfordernde Tätigkeit des Komponierens unmöglich machte. Ich hatte in Weinwurm, dessen Namen mir bis zu unserer Begegnung in Bad Kreuzenberg völlig unbekannt gewesen war, wobei man in musikalisch interessierten Kreisen, wie man mir später versicherte, wüsste, was Österreich an einem solchen Kopf hätte, nicht nur einen Mitneurastheniker gefunden, der es mir auf verschiedene Weisen erlaubte, mich dem geselligen Kurleben zu entziehen, sondern auch, so schien es mir bald, einen entfernt Geistesverwandten, ganz so als klängen unsere Gedanken zusammen, als verbände sich seine Verrücktheit symphonisch mit meiner.

Clemens Braun: »Bad Kreuzenberg«, in: Die Rampe. Hefte für Literatur 2/2024, S. 37.