Gerhard Roth

(Geb. 1942 in Graz, gest. 2022 in Graz)

Ich bin ein Liebhaber von Thomas Bernhards Prosa geblieben (...).

Im Gegensatz zu allem, was sich gegen Bernhard vorbringen lässt, war seine Prosa rein und überaus kunstvoll, indem sie das sogenannte Negative, das Hässliche, das Böse, das Irre, die Verzweiflung ins Unermessliche vergrößerte und dadurch eine darin verborgene Schönheit und Anziehungskraft mit großer Intensität sichtbar und spürbar machte. (...)

Häufig stand Bernhard als öffentliche Figur seinem Prosawerk im Weg – jedenfalls mehr, als er es vermitteln half. Er war ein schlauer und provokanter Öffentlichkeitssucher, der schauspielerte und posierte und sich mitunter so in seine Rolle hineinsteigerte, dass er die Grenze zwischen Spiel und Leben nicht mehr wahrnahm. Österreich hatte zeit seines schriftstellerischen Lebens neben dem Bundeskanzler zum allgemeinen Ärgernis auch einen Ab-Kanzler.

 

Gerhard Roth: »Thomas Bernhard. Der lebendige Tote«, in: Portraits, Frankfurt am Main: Fischer 2012, S. 83-92; hier S. 85, 87 [Zuerst als: »Bernhard: Zehn Jahre danach«, in: Format, Juni 1999].