Marlene Streeruwitz

(Geb. 1950 in Baden bei Wien)

Helene ging in eine Vorlesung. (…) Zu der gingen alle. Der Vortragende sei ein gewisser Fabian Andinger. Und was er über Thomas Bernhard sage, das sei. Also der letzte Schrei ganz einfach. (…) Die weibliche Schönheit sei es, die die Gefahr darstelle. Der Vortragende sprach fließend und eindringlich. Vom Gegenstand beseelt. Helene hatte es befürchtet. (...) Helene hatte immer das Gefühl gehabt, sie solle mit der bernhardschen Literatur für etwas bestraft werden, das sie dann auch begehen müsste. Als Auftrag. Aus dieser Literatur. Sie hatte seine Bücher immer als Angriff verstanden. Als persönlichen. Nicht gegen ein System. Gegen sie selbst. Als Frau hatte sie sich ohnehin nicht finden können. Oder mögen. Schadenfroh konnte man dem Scheitern der Männer folgen. Die dann die Frauen mit sich in den Abgrund rissen. Die ja auch einfach leben hätten können. Sie hatte etwas insistent Faschistisches tief versteckt vermutet. Einen geheimen Neid auf die, die offen faschistisch sein konnten. Und eine tiefe Menschenverachtung. Aber vielleicht war ja auch das ein Auf-den-Leim-Gehen. Herrenmenschen konnten schließlich nicht mehr geschildert werden. So wurde das Gegenteil illustriert. Am Versager. Und die Frauen waren daran schuld. An allem. Aber mehr auch nicht.

 

Marlene Streeruwitz: Verführungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 217-220.